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Georg2020


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unerzählt

Eine Hausgeburtshebamme berichtete mir einmal von ihrem Wunsch, im Beruf auf Sterbebegleitung umzusatteln. Wir kamen ins Gespräch, weil ich damals im Beruf sehr viel Sterbende begleitet habe, und sie (als Hebamme für Hausgeburten!) auch Totgeburten zuhause begleitete.

Ich erzähle das, weil ich durch die Fotografie immer wieder vor Augen geführt bekomme, dass ich vor allem ein Fokus auf morbide, vergängliche und melancholische Motive habe. Dabei wird mir klar, dass die Natürlichkeit des Todes (so schrecklich und traumatisch er für die Überlebenden ist) elementar und die Nähe zwischen Geburt und Tod für mich eine spezielle Art der "Schönheit" darstellt. Besonders reizvoll also sind Motive, denen man eine Vergangenheit ansieht, ohne dass diese bisher wahrgenommen, geschweige denn erzählt wurde.
Unser Leben ist meiner Ansicht nach kein Kreislauf, auch glaube ich nicht, dass uns nach dem Tod irgendetwas anderes erwartet. Aber ich bin mir sicher, dass das natürlichste im Leben zunächst nur der Tod ist. Das ist das, was allem Lebendem inne ist.
Für viele mag das abstoßend oder erschreckend klingen, viele sehen im Leben vor allem Farbigkeit und Glück, in solchen Motiven sehe ich aber bestenfalls nur einen kleinen Moment des Lebens.

Ich bin weder todessehnsüchtig noch depressiv, sondern erlebe dort eine Ästhetik, wo Geschichten unerzählt bleiben. Mein Ziel in der Fotografie wäre es, dem näher zu kommen, egal, ob mit Doku - Bildern oder DigiGemälden.

Und eine letzte Anmerkung: natürlich ist Humor eine meiner Möglichkeiten, Brücken im Leben zu schlagen, deswegen mein häufiger Blödsinn in Kommentaren, der manchmal widersprüchlich zu solchen Themen erscheinen mag.

Die Schönheit des Lebens besteht auch in der Vergänglichkeit.

Commenti 16

  • die observer_in 11 12/03/2023 15:58

    "Die Dinge des Lebens," mit Michel Piccoli
    & Romy Schneider, kommt mir da als
    Erstes in den Sinn. Gedanken,_Spitter,
    Erinnerungs_Fetzen und wie verwundbar,
    das Leben, doch ist....auch das nicht
    gelebte, all zu früh gegangene Leben,
    will erzählt sein und eine Spur
     hinterlassen, gewürdigt sein....
    ...das Leben kommt durch die gleiche
    Tür, wie der Tod....und Keiner kommt hier
    lebend heraus....
  • anamcara373 01/03/2023 21:44

    ... dein Text spricht mir so, so sehr aus dem Herzen... mit der Geburt beginnt unser Sterben... und wir können nur immer wieder versuchen, unser Leben zu "verdichten"... und im Moment einer Geburt ist der Tod unglaublich nah und spürbar... so mein Empfinden... bitte erzähle weiter von den unerzählten Geschichten... ich lausche ihnen andächtig...
    Liebe Grüße
    KATRiN ;-)
  • lilabigblue 25/02/2023 21:31

    ...als das Leben noch unendlich war...
    So sind wir alle mal betroffen der Endlichkeit unseres Seins ins Auge zu sehen und dann auch loslassen zu können 
    Es ist eine Metamorphose von Leben zu Erinnerung für uns und alles andere werden wir auch zur bestimmten Zeit wissen...
    lg
  • Christoph Nitsche 25/02/2023 18:35

    Zum Thema haben wir uns bereits unter meinem Bild ausführlich ausgetauscht:
    Das Leben ist eine sexuell übertragbare Erkrankung, deren Letalitätsrate 100% beträgt
    Das Leben ist eine sexuell übertragbare Erkrankung, deren Letalitätsrate 100% beträgt
    Homo Viator... Wanderer zwischen den Welten

    Von daher mein Bedürnis, das Bild hier nochmal zu verlinken.
    Nimm mir das bitte nicht böse.
    Dein Bild samt Deinem Credo ruft die Vergangenheit auf, mit unzähligen Unerzählungen, denen ich mein Ohr ebenso zuneigen durfte, was mich dazu verleitet, mich vor allem im letzten Satz Deines Untertitels, Bestätigung meines gleichen Überzeugung zu finden.
  • RaGro2 24/02/2023 15:42

    feine music und ein wichtiges thema.
    ich kenne das selbst, im laufe des lebens wird man zunehmend mit dem thema tod konfrontiert und jeder verarbeitet es anders, sofern es den nicht verdrängt wird.
    der ausdruck der gedanken über bilder finde ich sehr ansprechend und über die zeit betrachtet man sie dann vielleicht nochmal ganz neu.
  • s. monreal 24/02/2023 8:48

    Zumindest versuche ich Anfang und Ende so zu verstehen wie Du es beschreibst. Und ich denke, dass es wichtig ist sich mit dem Ende zu beschäftigen bevor es "in Sicht kommt". Da können auch Bilder ganz hilfreich sein, besonders natürlich dann, wenn sie die Vergänglichkeit zum Thema haben - direkt oder indirekt.
  • Twin O Caulin 23/02/2023 22:22

    Rain Tree Crow läuft noch im Hintergrund bei mir, während ich deinen nachdenklich machenden Text lese. Passt irgendwie...
    Leider denke ich seit dem unsäglichen Krieg vermehrt an die Endlichkeit des Lebens generell. Und fotografisch versuche ich zwar den Eskapismus immer wieder, doch ich glaube, er gelingt mir nicht. Insofern: danke für Text und Bild!
  • Tante Mizzi 23/02/2023 19:09

    Eine ganz wundervolle  Aufnahme, Dein Text dazu ist klasse !!!
    Ich wünsche Dir einen schönen Abend und bleib gesund!
    Liebe Grüße
    Mizzi
  • Davina02 23/02/2023 19:06

    Na ja, noch lebe ich und möchte mich noch nicht mit dem Tod beschäftigen, aber es schon so, irgendwann müssen wir abdanken, alles ist vergänglich! Ich mag marodes so auch dein Bild!
    LG Angela
  • EstebanS 23/02/2023 18:55

    Schwere Kost - aber natürlich ist das Leben fest mit dem Tod verknüpft und das Vergängliche und Marode kann definitiv auch schön sein, wie Du in diesem Bild wieder zeigst.
    LG, Stefan
  • Pekka H. 23/02/2023 17:46

    Dein Text ist sehr wertvoll als Denkanstoß und sehr hilfreich für den Zugang zu Deinen (insbesondere) Bildbearbeitungen. Nicht l‘art pour l‘art, sondern Ausdruck Deines Empfindens und Denkens. Danke für die offenen Worte und das passende Bild dazu.
  • Lana 1 23/02/2023 14:05

    Mich sprechen Deine Worte sehr an, denn was gibt es existentielleres als die Geburt und den Tod. Was dazwischen ist, welche Bedeutung wir unserem Leben geben- das kann nur jeder selbst beantworten. Ich mag alle Bilder, welche nicht bloß Abbildungen sind. Du bist ein Meister der Bilder der unerzählten Geschichten. Und dennoch fällt mir bei diesem Bild sofort das Kriegslied ein "Sag mir wo die Blumen sind- wo sind sie geblieben"-all die bunten, prächtigen, die auch gezeigt sein wollen. Und es wäre ein guter Beitrag zu dieser Zeit, die vielleicht auch öfters bildlich Ausdruck bräuchte. LG Brigitta
  • artlove 23/02/2023 11:16

    die einfühlsamen Japaner haben für diese Empfindungen sogar einen Ausdruck Mono no Aware, der Deine Haltung genau beschreibt - bittersüß - wie das Leben und der Tod eben sind....Ein schönes und ansprechend bearbeitetes Foto zum Thema Vergänglichkeit! LG Helma
    • Georg2020 27/02/2023 20:21

      So, jetzt will ich endlich mal antworten: seit Tagen beschäftigt mich dein Kommentar, dunkel wusste ich auch, dass es sowas gibt, aber dank dir weiß ich jetzt mehr. Das ist hochinteressant und sollte ich öfter als Sektion verwenden, hin und wieder habe ich ja auch ein Bild in dieser Richtung. Allerdings nicht so elegant wie deine.
    • artlove 28/02/2023 7:59

      merci
  • Klacky von Auerbach 23/02/2023 10:46

    In der Vergänglichkeit?
    Oder in der Veränderung, im Wandel?
    Das ist jetzt schon eine philosophische Frage, die es sich zu betrachten lohnt.
    Das Bild zusammen mit Deinen Worten ist ein guter Einstieg.
    Gruß,
    Klacky