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will mich nicht abfinden

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prismaNUEL


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will mich nicht abfinden

H A N D Y A U F N A H M E

Und wieder ein vergeudeter Tag. Getan, was zu tun verlangt wurde, doch nichts, was tatsächlich zu tun wäre. Nichts riskiert, was zu riskieren gewesen wäre. Zu feige und zu bequem. Eingesteckt, sich aufgerieben. Wofür? Für ein paar imaginäre Zahlen auf dem monatlichen Kontoauszug, Zahlen, die mit dem Wert des Lebens ungefähr soviel zu tun haben, wie die Maße eines Bilderrahmens mit dem darin befindlichen Kunstwerk. Nicht, daß sich die meisten Menschen ein Kunstwerk nicht genau wegen Form oder Farbe aussuchen würden. Leider zähle ich nicht dazu.

Vielleicht ist es eine Krankheit, eine Art Fieber, diese zu hohen Erwartungen ans Leben. Und sie versuchen wahrlich, einen davon zu kurieren, all die Menschen um einen mit ihrem gleichförmigen Leben, ihrem tagtäglichen Trott aus dem sie einem auch noch mit glücklichem Grinsen anglotzen. Sie sind glücklich, vermeinen es nicht nur zu sein. Sie können sich gar kein höheres Glück vorstellen als ihr entmündigtes Leben jeden Tag aufs neue zu wiederholen in einer endlosen Schleife, ohne Höhepunkte, natürlich auch ohne Tiefpunkte, aber in der zutiefst befriedigenden Gewissheit, einer unter vielen zu sein, einer unter allen und alle gleich und niemand ragt heraus und keiner hat Träume, Sehnsüchte, Leidenschaften und alle traben durch die Tage, schleichen durch ihr Leben, verlassen es so spurlos wie sie es betreten haben, ein entschuldigendes Lächeln auf dem Gesicht, dass sie überhaupt ein Mensch gewesen sind. Wenn sie es denn waren...

Nur ich, die Kranke, bin eben anders. Ich will mich nicht abfinden und tue es dann doch. Ich ringe jeden Tag mit mir einen Kampf, den ich nur verlieren kann. Ich werde immer enttäuscht sein, was ich auch anfange. Denn ich bin in der Lage mir ein Leben vorzustellen, dass alles, was sich auf dieser Erde manifestieren wird nur als müden Abglanz erscheinen lässt. Ein wirkliches Leben. Eine Existenz, die würdig wäre, von einem Menschen gelebt zu werden.

Der Geist ist die Krankheit. Und von dem Leben genippt zu haben, dem wirklich Leben, nur gekostet in raren Momenten. Ein Tropfen schon macht abhängiger als jede Droge. Wer einmal geliebt hat, kann sich doch nicht damit zufrieden geben, die Gefühle irgendwann wie einen alten Mantel einzumotten. Wer einmal in den Brunnen der Kunst getaucht ist, kann sich doch fortan nicht mit schalen Vergnügungen und unterhaltsamen Zeitvertreib zufrieden geben. Wer sich einmal in seinem Leben wirklich ausgedrückt hat, kann doch eine fremdbestimmte Angestelltentätigkeit niemals als Selbstverwirklichung begreifen.

Wie hoch stehen diese raren Momente meines Lebens über dem, was Tag für Tag im gleichgeschalteten Trott möglich ist. Wie jämmerlich mickrig und trostlos ist die Öde des Alltagslebens gegenüber dem, was ein Mensch leisten und erfahren könnte, für was er kraft seiner Seele und seines schrankenlosen Verstandes eigentlich befähigt wäre und geschaffen wurde.

Das Tragische ist nicht, dass wir Menschen nicht alles erreichen, was möglich wäre, sondern dass wir es gar nicht versuchen. Dass wir uns zufrieden geben mit dieser Seichtheit und Öde des Lebens. Weil wir nicht ertragen könnten, eine falsche, bedauernswerte Entscheidung zu treffen, einen Irrweg einzuschlagen, entmündigen wir uns selbst, entheben uns jeder Entscheidung, führen ein Leben ohne jegliche selbst bestimmte Einflussnahme wie eine Henne in der Legebatterie.

Und jeder, der sich nicht zufrieden gibt, jeder, der mehr verlangt, jeder, der gegen die Banalität und Plattheit unseres Lebens aufbegehrt, wird mundtot gemacht, bekämpft, bekriegt oder mit der ultimativen Waffe, der Lächerlichkeit geschlagen. Weil wir keinen Stachel im Fleisch ertragen können, weil unser Selbstbetrug überhaupt nur dann funktionieren kann, wenn wir nicht nur mit Scheuklappen durch die Welt traben sondern auch noch jeden, der sich uns in die Weg stellt niedertrampeln. Er könnte uns anstecken mit seiner Krankheit, der Unzufriedenheit.

Ich bin ermattet. Die Kraft reicht nicht, um alles zu denken, was ich denken möchte, geschweige denn die Gedanken auch noch auszudrücken, festzuhalten, in Form zu gießen. Der Mensch ist zu schwach für seinen Geist. Oder vielleicht ist der Geist zu schwach für dieses Leben.

Als ich den Fernseher einschalte und durch die Programme zappe, weiß ich, dass ich wieder zu einem Teil von ihnen allen geworden bin, ein Teil der Gattung, die sich Mensch nennt. Es ist zwar kein Leben, aber es ist wohl alles, wozu ich fähig bin. Eine unter ihnen. Erst des Nachts, wenn ich wieder mit meinen Gedanken alleine bin, wird die Unzufriedenheit in mir nagen. Leise nur, leise. Denn morgen heißt es wieder früh aufzustehen und sich dem täglichen Trott zu übergeben. Es ist zwar kein Leben, aber es währt ja auch nicht endlos...

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