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Ulrich Hollwitz


Premium (World), Heinsberg

Go(a)lgatha

Wieder mal so ein Ort, wo die Erinnerung angesichts der Gegenwart weh tut. Das war der Fußballplatz, wo ich Fußball spielen gelernt habe. Mein Heimatort war bis zu den frühen 80er Jahren eine Fußballhochburg. Anfang der 70er hatte unser Ort lange eine Spitzenmannschaft der Verbandsliga, die damals 3. Liga war. Neben Stadion und Flutlichtplatz gab es noch den dritten Platz, den "Sportplatz", der im Volksmund meist nur "Golgatha" genannt wurde. - "Hast du Hausaufgaben gemacht? Noch was geübt?" Konnte ich die Fragen bejahen, dann durfte ich mich umziehen. Es ging stehenden Fußes zum Sportplatz. Hier waren alle versammelt, alle zwischen 8 und 16 Jahren. Es wurde gepöhlt, gebolzt und alles an Fußballspielen durchexerziert, was ging. Reine Matches, dann Flankenschießen oder Elfmeterschießen. Manchmal wurde auch versucht, das "Tor des Monats" nachzuspielen. "Wenn es dunkel wird, bist du zuhause!" lautete das ungeschriebene elterliche Gesetz, an das wir uns trotz aller kindlichen Aufmüpfigkeit hielten. Müde, mit zerschlagenen Knieen, blauen Flecken und mit einer Patina aus Staub und Schweiß überzogen kehrten wir heim. Jeden Tag im Sommer, wenn es nicht ins Schwimmbad ging.
Die Fußballplätze im Ort sind heute gesichert wie Fort Knox, mit hohen unüberwindlichen Metallzäunen. Wären sie es nicht, ein ordentlicher Spielbetrieb wäre wohl nicht mehr möglich, weil der gängige und unschöne, aber irgendwie stillschweigend hingenommene Vandalismus alles zerstören würde.

Golgatha hat keine Zäune, existiert als Fußballplatz aber auch nicht mehr. Als Erinnerung ist ein windschiefes Tor noch stehengeblieben. Das Gras ist in diesem trockenen Sommer kurz und braun, allerdings auch dem Umstand geschuldet, dass hier vor Wochen eine sogenannte "Mallorca-Open-Air-Party" stattfand, bei der natürlich auch der Goethe der Ballermann-Lyrik, der große Philosoph Mickie Krause nicht fehlen durfte. Die vielen Glasscherben zwischen dem verdorrten Glas sprechen noch eine beredte Sprache von dem schöngeistigen Event. Ich jedenfalls denke gut 50 Jahre zurück, an schöne Zeiten, in unserem Ort die goldenen Zeiten des Fußballs. Und wenn man dann das trostlose Heute sieht: Ein Fußballplatz, der keiner mehr ist, auf dem man keine Kinder mehr sieht, an die Schulgebäude, deren graffitiverschmierte Rückseite man von diesem Platz aus sieht, dann kommt man ins Grübeln. Nein, früher war nicht alles besser, aber manches schon.

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