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Herr von Nöten meint …

Herr von Nöten meint …

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Herr von Nöten meint …

Frau Missi sitzt an Tisch 4 am Eck …

ein junger Herr …
mit einem weißen Leinenhemd …

bittet …

an ihrem Tisch …


Schweigen füllt die Zeit …




bis …

er anfängt zu erzählen …


mit ruhiger Stimme …



Frau Missi fühlt sich …

zurückversetzt in das Jahr 1968 …


Erinnerungen erwachen mit jeder Silbe …



Frau Missi erkennt ihn wieder …



als würde er dort auf dem Stuhl …

an Tisch 4 …

am Eck …


sein Gesicht erwacht in der Erinnerung …

und Frau Missi erzählt …


von 1968 …


von den weißen Ohrringen …

welche Frau Missi seither trägt …


er sagte damals …

„weiße Ohrringe würden ihnen stehen“ …


Frau Missi erzählt von …

der ersten Fahrt mit der Metro …


so schnell durch die Stadt …

soviel gesparte Zeit …


Treppen runter und rauf …

an einem anderen Ort in Paris …

in wenigen Minuten …


er erzählte damals von …

der Metro …

der einzige Ort in Paris …

indem die Zeit …

stehen bleibt …


wenn sich die Türen der Metro schließen …

der Bahnhof im Rausch der Geschwindigkeit …

hinter den Fenstern verschwindet …

das Licht im Waggon …

die Menschen in den Scheiben sich spiegeln …


Stillstand …

plötzlicher Stillstand …

die Zeit scheint zu gefrieren …

keine Bewegungen …

keine Worte …

Stille …


Stille …


Stille …


Zeitungspapier raschelt …


Eine Brotdose wird geöffnet …

Klick klick …


Bewegungsstille …


die Zeit scheint zu gefrieren …


ein Ort des Stillstandes …

bei Höchstgeschwindigkeit …



das Licht im Waggon …

die Menschen in den Scheiben sich spiegeln …



bewegungslos …




Nur das Rattern der Räder auf den Gleisen …

das Quietschen beim Abbremsen …

vor den Kurven …

bei der Einfahrt in die nächste Station …


erinnert an die Zeitreise …


Er liebt diesen Ort …

an dem die Zeit gefriert …


der einzige Ort in Paris …



Frau Missi erzählt die ganze Geschichte …

und jedes Jahr hält sie …

die Verabredung ein …


an Tisch 4 am Eck …


von dem Buchtitel in ihren Augen …



Pas de retrouvailles à Paris …



Sie verabschieden sich …




der junge Mann …

schreibt noch ein paar Worte …

in sein Notizbuch …


lässt die Haare über den Stift fallen …



Frau Missi spaziert am Ufer der Seine …



wie jedes Jahr …


seit 1968 …


als sie …

an Tisch 4 …

am Eck …



Herr von Nöten schaut aus dem Küchenfenster …

Commenti 16

  • SandrA 02/02/2022 21:32

    Ich bleibe immer wieder daran hängen.....
    LG Sandra
  • BluesTime 14/01/2022 16:47

    ... tja, lange her
    lg
  • GrauTag 13/01/2022 16:28

    Einfach berührend, wenn "man" nach so langer Zeit
    seinem Empfundenen weiter folgen kann...
    und die Zeit ihren eigenen, liebgewonnenen Rythmus hat...
    LG Volker
  • Heiko Schulz ² 12/01/2022 20:42

    Ich schaue mir auch diese Gemälde mit Bewunderung an. Das ist Kunst. Einfach sehr besonders. Und die Geschichten empfinde ich irgendwie auch wie Traumgeschichten. Im träum ist alles so selbstverständlich, auch wenn es ganz fremd ist. 

    Grüße, Heiko.
  • Maud Morell 12/01/2022 20:20

    Ich liebe deine Art des Erzählens und deine Bilder.
    LG von mir, Maud
  • UAW 12/01/2022 17:51

    Eine Geschichte von Erinnerung und Stillstand, Festhalten und Rastlosigkeit, Hoffen und Bangen...für einen Moment im Jahr ist vielleicht alles gut...vielleicht...

    Tolle Zeichnungen dazu wieder. Liebe Grüße
  • Joachim Aniol 12/01/2022 9:56

    Die Fortsetzung der Geschichte, auch ohne Happy End für Frau Missi, gefällt mir.
  • Zream 12/01/2022 9:24

    Ein Text mehr als zwei Zeilen ist in der heutigen Zeit ein schwieriges Unternehmen.
    Ist das Auge doch auf 3 Wort Sätze und Bilder geschult … eigentlich der Untergang der Romantik und tiefergehenden Gefühlen.
    • Goldfisch 13/01/2022 16:09

      Hi… so sieht es aus … ups … vier Worte :-) Schnitt verpasst … aufgeholt durch eine Zweiwortantwort:-)

      Bei einem Wort bleibt 

      DANKE !!!
    • Zream 13/01/2022 16:19

      Mehr geschrieben bedeutet aber auch, dass noch wesentlich mehr in einem stattfindet … anstatt „I love you“ eben die vollständige Beschreibung eines Menschen mit all seinen Gefühlen.
      Ich möchte nicht sterben und auf dem Grabstein steht dann „Er war der größte „I love you“ Sager … zu dünn gehaucht … eine zu kurze Version des Lebens.
    • Zream 13/01/2022 16:22

      Entsetzlich, wenn man zwischen Steuererklärung und Microwelle reparieren, philosophiert. 
      Könnt aber auch schreiben Sacklzement ich krieg die scheiß Mikrowelle nicht aus dem Unterbau heraus … was allerdings der Stimmung einen Abbruch tun würde.
    • Goldfisch 13/01/2022 17:28

      :-) du schaffst es … 

      immer mit der Ruhe :-)

      Unser Wortschatz ist eh sehr rational … wenige wie wo was womit warum Wörter in einer Auswahl, die einen kleinen aber feinen Unterschied in der Botschaft ausmachen könnten … mein gern genutztes Beispiel : beschreibe das Essen / einer Birne … was wie wo usw … mit allen Sinnen eben … da gibt es interessante Antworten … 

      Sacklzement ist da aber auch ein phantastischer eingesetzter Ausdruck für die Bewertung einer Handlung welche noch nicht abgeschlossen
      ist :-)
  • Georg2020 12/01/2022 5:50

    Guten Morgen. 
    Heutzutage sitzt man gar nicht mehr am Tisch 4. Heutzutage fährt man in ein DriveIn, bleibt im Auto sitzen, bestellt sich über eine Sprechanlage eine belegte Kartonage, schmackhaft wie eine orthopädische Schuheinlage. 
    Und auf den Herren im weißen Leinenhemd kommt es heute auch nicht mehr an.
    Ich sollte so früh morgens einfach nichts poetisches lesen. Vielleicht solltest du meine Gegenreaktion als ein dickes Kompliment betrachten,  da sie veranschaulicht,  wieviel deine gelungene Bildpoesie auslöst! 
    Klasse!
    PS Ali Mitgutsch ist gestorben. Schneuz.