• gelbhaarduisburg 01/08/2017 16:43

    Wenn Sie in unserer Gegend unterwegs sind, werden Sie feststellen, dass Sie hier weder verhungern noch verdursten müssen. Immer wieder kommen Sie an gut ausgestatteten Versorgungsstützpunkten vorbei, die elementare Grundnahrungsmittel (Kartoffelchips, Flaschenbier, Bonbons, die hier aber "Klümpchen" heißen) auch jenseits der üblichen Ladenöffnungszeiten bereithalten. Wir nennen diese Stützpunkte "Bude", was die Kurzform von "Selterbude" darstellt. Beim Wohnungswechsel innerhalb des Ruhrgebietes achten echte Kenner weniger auf die Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr als vielmehr auf die Entfernung zur nächsten Bude. Ich selbst wohnte mal neben einer Bude, an der erwarteten mich täglich von morgens sieben bis abends um zweiundzwanzig Uhr etwa zwanzig nackte Frauen, um mir Bier, Chips oder Zeitungen zu verkaufen. Na gut, wirklich verkauft hat nur eine, und die war auch nicht nackt, aber in den Budenfenstern um sie herum hingen allerlei gynäkologische Fachmagazine, bei denen die neuralgischen Bereiche mit schlecht sitzenden weißen Zetteln verdeckt waren. Ich gebe zu, einmal habe ich so ein Druckwerk erstanden. Natürlich nur, um zu sehen, wie tief andere, die sich so was regelmäßig kaufen, schon gesunken sind. Eine leicht aufgedunsene, von vierzig Brüsten umgebene Blondine schob mir das Magazin, mit dem Titelbild nach unten, über den Tresen und sagte voller Verständnis: "Kommen auch wieder bessere Zeiten!"

    Aber das muss Sie gar nicht interessieren, schließlich haben Sie, wenn Sie bei uns unterwegs sind, einen geschmackvollen Reiseführer in der Hand und nicht solchen Schweinkram. Für Sie ist vor allem wichtig zu wissen, woran man eine vertrauenswürdige Bude erkennt: am Langnese-Fähnchen, an einer sachlichen Werbung für eine lokale Biersorte sowie einem mit Edding geschriebenen Schild: "Bitte hier klingeln!" Gerne auch mit einem Pfeil, der ins Nichts statt auf eine Klingel weist. Dann beugen Sie sich einfach zum Budenfenster hinein und brüllen: "Ey! Kundschaft!"

    Nicht wenige Buden werden betrieben von Menschen mit Migrationshintergrund, schließlich ist das Ruhrgebiet immer ein Schmelztiegel unterschiedlichster Nationalitäten gewesen. Der herrschenden Meinung nach stammen wir ja alle von polnischen Püttadeligen ab. Um das zu ironisieren, stellte sich mein Vater meiner Mutter seinerzeit als "Goosenowski" vor.

    Manche ausländischen Mitbürger sind erstaunlich gut integriert. So stand ich einst zu Beginn der neunziger Jahre mit einem Freund aus Ostberlin in einer Bude, die von einem breitschultrigen Türken mit einem imposanten Schnauzbart betrieben wurde. Der Kollege aus dem Osten wollte wissen, wie der hier schon länger ansässige, gleichwohl ebenfalls nicht von hier stammende Budenmann es denn finde, dass jetzt allerlei Mitbürger von jenseits des gefallenen Eisernen Vorhangs auftauchten, also Polen, Ukrainer, Russen, Ostdeutsche. Der Türke beugte sich vor und sprach: "Wir euch nicht gerufen!"

    Der ganze Text ist hier:
    http://www.zeit.de/2010/02/Ruhrgebiet/komplettansicht